Julikinder

Wir Kinder im Juli geboren
lieben den Duft des weißen Jasmin,
wir wandern an blühenden Gärten hin
still und in schwere Träume verloren.
— Hermann Hesse aus dem Gedicht "Julikinder", entstanden im Mai 1904, veröffentlicht in "Unterwegs" 1911

Im Juli verliert die Zeit ihr Taktgefühl. Sie dehnt sich aus, wird weich, verliert die Ränder. Die Welt im Juli steht sperrangelweit offen. Satte Tage, unverschämt senkrechtes Licht, pralle Farben, die Schatten sind klein und scharf abgegrenzt. Es sei denn man taucht in ein blaugrünes Pappelwäldchen ein und lässt sich von spärlich bewegter Luft die Blätter wie ferne Meereswogen in den Ohren rauschen. Wer noch mehr Glück hat, kann von Libellen umschwärmt ins kühle Grüngold der Regnitz gleiten und sich im Bamberger Hainbad flussabwärts treiben lassen, am Steg entlang und an den dunklen Erlen. Mit dem Strom schwimmen dürfen ohne sich selbst zu verraten - das ist auch Juli.

Gegen Abend legt sich der Himmel eine lavendelblaue Robe mit neapelgelbem Saum um, Zinnober und Krapplack lassen dieser Tage länger auf sich warten, währen das Feierabendeis (Zitrone oder Maracuja, Pistazie muss bis nach dem Azorenhoch warten) schneller schmilzt als ich es genießen kann.
Natürlich male ich! Ständig. Nicht immer, weil ich will. Oft, weil es sich nicht vermeiden lässt. Und dann wachsen aus dem tiefen Westen Wolkenberge empor, erstes Grollen. Die Nächte sind kein Versprechen auf Ruhe, sie tragen den Widerspruch der grellen Tage weiter. Gedanken halten sich nicht an Arbeitszeiten.
Die Hitze nimmt mir das Streben – und gibt mir etwas anderes. Etwas gleich Gültiges (nicht gleichgültig!).
Der Anspruch geht baden.
Und ausgerechnet dann gelingen mir die besten Pinselstriche und Farbgemische.

Der Blick zurück zeigt ein Stück vom Himmel. Ein Julitag in der Kindheitsheimat. Acryl auf Leinwand, 70×60cm April 2024

Wir Julikinder tragen einen Widerspruch in uns.
Wachstum und Müdigkeit. Sehnsucht und Genug. Für meine Arbeit ist das geniales Arbeitsmaterial. Und ich feiere Hermann Hesses Geburtstag, lese über Wolken und scharlachnen Mohn, traumbeladen und voller inspirierender Widersprüche.


  • Hermann Hesse deutscher Schriftsteller, Dichter, Maler und Julikind: Geboren am 2. Juli 1877 in Calw (Schwarzwald), prägte er mit Werken wie Demian, Siddhartha, Der Steppenwolf und Das Glasperlenspiel die Literatur des 20. Jahrhunderts.

    Hesses Texte kreisen um Themen wie Selbstfindung, Natur, Spiritualität und das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft. Für sein Werk erhielt er 1946 den Nobelpreis für Literatur.

    Er starb am 9. August 1962 im Tessin, wo er die zweite Hälfte seines Lebens verbrachte – zurückgezogen, schreibend, gärtnernd.cription text goes here

  • Wir Kinder im Juli geboren
    lieben den Duft des weißen Jasmin,
    wir wandern an blühenden Gärten hin
    still und in schwere Träume verloren.

    Unser Bruder ist der scharlachene Mohn,
    der brennt in flackernden roten Schauern
    im Ährenfeld und auf den heißen Mauern,
    dann treibt seine Blätter der Wind davon.

    Wie eine Julinacht will unser Leben
    traumbeladen seinen Reigen vollenden,
    träumen und heißen Erntefesten ergeben,
    Kränze von Ähren und rotem Mohn in den Händen.

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