Morgenandacht - Kunst als Gegenüber
Ein stiller Platz. Eine Tasse Kaffee. Und der Blick auf ein Bild, das sich täglich verändert. Eine kleine Szene – und ein ganzes Lebensgefühl.
Morgens, noch traumversunken. Eine Tasse Kaffee in der Hand.
Kein Blick auf Nachrichten, kein Sog aus dem Netz.
Stattdessen: Licht, das über den Teppich streicht. Farben, die sich im Schweigen entfalten.
Ein Raum, der nichts fordert.
Ein Sofa – ihm gegenüber: Bilder.
Der Blick beginnt zu wandern.
Bleibt hängen, zieht weiter.
Entdeckt Details, die gestern noch verborgen waren.
Und manchmal geschieht das Unerwartete:
Ein Bild verändert ein anderes.
Je nach Licht. Je nach Stimmung. Je nachdem, wie man schaut.
Was da geschieht, lässt sich kaum benennen.
Wie ein Gespräch, das kein Ende braucht.
Manche Menschen richten sich solch einen Platz ein – bewusst oder instinktiv.
Ein Ort, an dem das Sehen sich unbeobachtet entfaltet.
Nicht zur Ruhe kommen – sondern aufleben.
Es ist mehr als Ästhetik.
Unsere Umgebung wirkt – viel subtiler als wir denken und stetig.
Farben, Formen, Proportionen.
Sie prägen nicht nur die Stimmung,
sondern auch unser inneres Bild von Welt und Selbst.
Da ist dieses Tier auf dem Bild.
Er kennt es längst. Und doch… heute sieht es ihn zuerst.
Ein leicht geneigter Kopf. Augen, die nicht bitten, nicht fordern. Nur da sind. Offen.
Er beugt sich ein wenig vor,
als könnte er näher kommen, ohne aufzustehen.
Und sagt etwas. Nicht laut. Vielleicht nicht mal hörbar.
Eine Geste, die zu vertraut ist, um fremd zu wirken.
Und zu neu, um selbstverständlich zu sein.
Die Welt, die draußen wartet,
tritt für einen Moment zurück.
Nicht ausgelöscht, nur fern genug,
um ihm zu erlauben, ganz hier zu sein.
Nicht verloren –
sondern gefunden.
„Der Weg nach außen geht durch das Innere.“
— Novalis
Meine Bilder entstehen aus diesem Zwischenraum.
Zwischen Wahrnehmung und Staunen.
Zwischen Natur und innerem Erleben.
Zwischen dem, was sich zeigt – und dem, was sich erschließt.
Wenn sie Menschen erreichen, entsteht Resonanz.
Ohne Zweck und doch mit voller Absicht.
Ein feines Echo vielleicht. Oder eine Vertrautheit, die nicht gesucht wurde – aber gefunden.
Vielleicht spürst du, während du das liest,
eine Ahnung davon.
Dass Kunst mehr sein kann als Besitz.
Ein lebendiger Teil des eigenen Raums.
Ein Blick, der bleibt –
und sich immer wieder neu auf den Weg macht.
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Novalis (1772–1801), mit bürgerlichem Namen Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, war ein bedeutender Vertreter der Frühromantik – Dichter, Philosoph, Naturforscher.
Den Namen Novalis wählte er als Künstlername in Anlehnung an ein altes Familiengut – er bedeutet sinngemäß „der Neuland bestellt“. Das passte zu seinem Ideal: Innenwelt und Außenwelt durch Poesie neu zu verbinden. -
Novalisvwollte die Welt nicht erklären, sondern erschließen – durch Gefühl, Tiefe und Imagination.
Die Romantik suchte nicht das Objektive, sondern das Verborgene, das Seelische – sie verstand Kunst als Weg der Innerlichkeit, als Öffnung ins Ganze. -
Das Zitat stammt aus dem Nachlass von Novalis, genauer aus seinen philosophischen Fragmenten, oft unter dem Sammelbegriff Blüthenstaub oder in späteren Ausgaben als Teil der „Fragmente und Studien“ bezeichnet (1798–1799). Die Zitate erscheinen dort nummeriert oder unbetitelt – ganz im romantischen Geist der Offenheit und Vieldeutigkeit.