Aus der Zeit gefallen - warum ich Tempera liebe
Wenn ich Sehnsucht nach dem Ursprünglichen habe, greife ich gerne zu Tempera. Das passiert mir während der intensiven Arbeit an „Genesis“ immer öfter. Es ist ein Gefühl zwischen Harmoniesucht und Heimweh. Die Opulenz meiner Ölbilder ist mir dann zu anstrengend und das Aquarell zu unberechenbar und zart. Tempera ist genau die richtige Mischung zwischen beiden und doch eine ganz eigene Welt.
Es gibt Tage, da rühre bzw. reibe ich sie selbst an – aus Pigmenten, Wasser, einem frischen Eigelb oder Quark und vielleicht einem Hauch Leinöl. Langsam, konzentriert, ein echtes Ritual. Wenn sich die trockene Farbe mit dem Bindemittel verbindet, wenn die Mischung seidig wird, schwerelos und voller Versprechen. Tempera ist für mich mehr als Technik – sie ist eine Art, mit Farbe in Beziehung zu treten. Eine alte Sprache zwischen Bild und Berührung.
Meist nehme ich ganz pragmatisch die fertige Eitempera aus der Tube – meine Lieblingsmischung von Sennelier, zuverlässig, leuchtstark, sofort bereit. Auch das hat seine Schönheit. Denn nicht immer braucht es das große Zeremoniell. Oft drängeln meine Ideen sehr ungeduldig auf den Malgrund.
Auf Leinwandresten oder grundierten Holzstücken, Karton oder was sonst gerade im Atelier rumliegt, meditiere ich malend über meine Themen, verwerfe vieles und entdecke Ungeahntes.
Ein Hauch Lavendel
Manchmal füge ich meiner selbst angerührten Tempera ein paar Tropfen Lavendelöl hinzu. Nicht viel – nur gerade so, dass die Farbe sanft duftet. Maltechnisch bewirkt es etwas mehr Weichheit im Auftrag, aromatherapeutisch ist der Effekt deutlich: der Atem vertieft sich automatisch, ich arbeite konzentrierter, Atemzug, Pinselstrich, Atemzug.
Alte Technik, neue Resonanz
Historisch betrachtet ist Tempera eine der ältesten Maltechniken der Welt. Lange vor der Erfindung der Ölfarbe prägte sie die großen Tafelbilder des Mittelalters, leuchtete auf Ikonen und in byzantinischen Fresken. Das Wort stammt vom Lateinischen temperare, was so viel bedeutet wie „mischen“, „ausbalancieren“. Und genau das tut diese Technik: Sie verbindet Wasserlöslichkeit mit Deckkraft, Raschheit mit Tiefe, Zartheit mit Standhaftigkeit.
Ihre Leuchtkraft kommt nicht vom Ölglanz, sondern von innen. Sie trocknet schnell, bleibt dennoch übermalbar, verlangt Mitdenken – und schenkt dabei eine angenehme Erdung durch ihre unverwechselbare Haptik: samtig, matt, pudrig und dabei nie stumpf.
Was mich an der Temperamalerei so fasziniert, ist ihre Ehrlichkeit. Sie lässt sich nicht polieren aber durchdringen. Und bei entsprechendem Lichteinfall, zeigt sie die Tiefe im Dazwischen… die ideale Begleiterin beim Erkunden: nicht laut, nicht gefällig und so vielschichtig. Sie erlaubt Nähe, fordert Präsenz – und bleibt dabei immer ein wenig eigenwillig.
Wenn Sie mehr eigenwillige Einblicke in mein Atelier, aktuelle Werkprozesse und poetische Gedanken zu meiner Kunst erhalten möchten: